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Kastration und Verhalten des Hundes

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Heute präsentiere ich Dir einen Artikel, der mir schon lange ein Bedürfnis ist: Es geht um Kastration und wie Hormone das Verhalten des Hundes beeinflussen.

Geschrieben wurde der Artikel von der Tierärztin Larissa Michels des Online-Shops für Tierbedarf Tierarzt24.de .

Kastration und Verhalten des Hundes

Die Geschlechtshormone haben naturgemäß einen großen Einfluss auf unser Verhalten. Hätten sie dies nicht, so wären wir heute nicht hier. Beim Hund sowie bei allen Tierarten ist das natürlich nicht anders, denn das Ziel einer jeden Art ist es sich selbst zu erhalten. Bei domestizierten Tieren wie dem Hund greift der Mensch bisweilen durch Kastration in das Fortpflanzungsverhalten ein. Als Kastration bezeichnet man unabhängig vom Geschlecht die Entfernung der Keimdrüsen, also der Hoden beim Rüden und der Eierstöcke (und oft auch zusätzlich der Gebärmutter) bei der Hündin. Dort werden nicht nur die Keimzellen, also Spermien und Eizellen produziert, sondern auch die Geschlechtshormone Testosteron, Östrogen und Progesteron, die für die typischen geschlechtsspezifischen Verhaltensmuster mitverantwortlich sind.

Gründe für eine Kastration

Gründe für eine Kastration mag es viele geben – eher selten sind diese allerdings medizinischer Natur. Ob es sich nicht häufig eher um „Menschengründe“ handelt, sollte in jedem einzelnen Fall vom Besitzer, aber auch von tierärztlicher Seite aus kritisch hinterfragt und genau abgewogen werden, denn Fakt ist:

  1. Verhaltensstörungen oder Erziehungsfehler / -mängel lassen sich in den allermeisten Fällen nicht einfach durch eine Kastration beseitigen.
  2. Das Tierschutzgesetz spricht ein generelles Amputationsverbot aus. Das grundlose Entfernen von Organen ist somit tierschutzwidrig. Beim in geordneten Verhältnissen lebenden Haushund gibt es laut Tierschutzbericht der Bundesregierung andere effektive Möglichkeiten der Fortpflanzungskontrolle (Leine!). Eine Kastration aus rein medizinischen Gründen ist aber laut Gesetz zulässig.

Inwieweit beeinflussen nun die Geschlechtshormone das Verhalten eines Tieres?

Da das wichtigste Ziel einer jeden Tierart die Arterhaltung ist, spielt der Fortpflanzungstrieb entsprechend zeitweise eine übergeordnete Rolle im sozialen Gefüge. Folglich werden diejenigen Verhaltensmuster, die dem mittelbaren oder unmittelbaren Ziel der Fortpflanzung dienen, u.a. durch die Ausschüttung von Geschlechtshormonen bestimmt. Nun ist es aber mitnichten so, dass man ebenjenes geschlechtsspezifische Verhalten durch das Entfernen des hormonellen Taktgebers, wie einen Lichtschalter in jedem Fall vollständig und garantiert ausschalten kann. Die Etablierung von Verhaltensmustern ist immer auch mit dem gleichzeitigen Ablaufen von Lernprozessen verknüpft.

Nachfolgend ein Beispiel: wurde ein Rüde vor einer Kastration bereits zum Decken eingesetzt (egal ob geplant oder ungeplant), so hat er die Abläufe, die letztlich zum erfolgreichen Deckakt führen, gespeichert und wird sie u.U. auch nach der Kastration wieder abrufen. Den Geruch einer heißen Hündin wird dieser Rüde auch nach einer Kastration noch mit dem positiv verknüpften Ereignis in Verbindung bringen und ggf. versuchen das erlernte Verhalten bis zum Deckakt auszuführen, auch wenn er nun eigentlich unfruchtbar ist. Folglich wird er möglicherweise auch andere Rüden weiterhin als Konkurrenz betrachten.

Frühkastration ja oder nein?

Also machen wir es uns doch am besten ganz einfach und kastrieren alle Hunde möglichst früh, d.h. bevor sie ihre sexuelle Reife durchlebt und entsprechende Erfahrungen gesammelt haben! Abgesehen davon, dass für eine Kastration – egal zu welchem Zeitpunkt sie geschehen soll – medizinische Gründe vorliegen müssen, ist das Durchleben der Pubertät für die Persönlichkeitsentwicklung eines Hundes von größter Bedeutung. Allein aus ethischer Sicht sollte daher die pauschale Frühkastration, die von einigen Tierärzten vor allem bei der Hündin propagiert wird, äußerst kritisch betrachtet werden. Als medizinischer Grund wird hier meist das erhöhte Risiko für Gesäugetumoren bei unkastrierten Hündinnen genannt. Hierzu sei nur kurz gesagt, dass auch bekannte und häufig zitierte Studienergebnisse vom Besitzer (und eigentlich auch vom Tierarzt) immer im Gesamtkontext betrachtet und entsprechend bewertet werden sollten.

Kastration gegen Stress?

Ein weiterer häufig genannter Grund für die Kastration von sowohl Rüden als auch Hündinnen ist der der Stressvermeidung. Es sei besser dem Tier den unnötigen Stress der Partnersuche zu ersparen, da es sein angeborenes Paarungsverhalten in Gefangenschaft sowieso niemals ausleben soll / darf. Dieser Aspekt muss ebenfalls durchaus differenziert betrachtet werden.

Der Verhaltensforscher Dr. Udo Gansloßer gibt an, dass sich im Hunderudel 30-50 % der Hündinnen und 70-80 % der Rüden niemals fortpflanzen dürfen und mitnichten verhaltensgestört oder übermäßig gestresst seien. Im Gegenzug dazu ist aber zu bedenken, dass unsere domestizierten Haushunde nun mal nicht in Ihrer natürlichen Rudelstruktur leben. Viele Hundebesitzer erleben bei Ihrer Hündin während der Läufigkeit eine deutliche Verhaltensänderung, die durchaus mit massivem Stress verbunden sein kann: die Hündin frisst schlecht und nimmt ab, bietet sich jedem Hund, Schaf oder Menschen als potentiellen Paarungspartner an, ist nervös, jammert vermehrt, zieht an der Leine und hat sämtliche Erziehungserfolge vollkommen vergessen.

Auch unkastrierte Rüden reagieren bisweilen ähnlich auf die Anwesenheit einer läufigen Hündin: über weite Strecken wird die Hündin verfolgt, jeder andere Hund wird als Konkurrent betrachtet und angebellt, vom braven an-der-Leine-Gehen hat der Rüde plötzlich noch nie etwas gehört, im Extremfall verweigert auch er die Nahrung und nutzt jede Gelegenheit der Angebeteten hinterher zu streunen.

Kastration gegen unerwünschtes Verhalten?

Diese in dem Moment unerwünschten (und z.T. auch selbstzerstörerischen) Verhaltensweisen wird man übrigens durch eine Kastration sehr wahrscheinlich „in den Griff“ bekommen – konnte der Hund allerdings vorher nie Bei-Fuß gehen, so wird er es anschließend nicht schneller oder besser lernen.

Auch das Aggressionsverhalten gegenüber anderen Hunden ist – wie so vieles – differenziert zu betrachten. Das Aggressionsverhalten eines Hundes lässt sich längst nicht immer auf das Hormon Testosteron zurückführen. In den meisten Situationen, in denen ein Hund aggressiv reagiert, sind eben nicht (nur) die Sexualhormone für dieses Verhalten verantwortlich. Komplexe Situationen erfordern komplexe Reaktionsmechanismen des Körpers – das Stresshormon Cortison spielt bei der Entwicklung aggressiver Verhaltensweisen häufig auch eine entscheidende Rolle.

Bei von Natur aus sehr dominanten Hündinnen mit fast rüdenhaften Verhaltenszügen kann es in Folge einer Kastration sogar zu einem gesteigerten Aggressionsverhalten gegenüber Artgenossen kommen. Solche Hündinnen haben meist schon vor Geburt von der Mutter eine große Menge Testosteron mitbekommen, worauf im Gehirn gewisse Rüden typische Verhaltensmuster angelegt wurden. Nach einer Kastration fällt nun die abmildernde Gegenwirkung des Östrogens weg, so dass sich das Rüdenverhalten noch deutlicher etablieren kann.

Kritisches Denken ist gefragt!

Zusammenfassend sei gesagt, dass das Thema Kastration sowohl beim Rüden als auch bei der Hündin von möglichst allen Seiten her kritisch betrachtet werden sollte und nicht pauschal als Allheilmittel gesehen werden darf, je nach dem, was man sich in diesem Moment von dem Eingriff erwartet. Aus ethischer Sicht sei noch einmal betont, dass die Sexualhormone gerade beim jungen Hund maßgeblich an der Persönlichkeitsentwicklung beteiligt sind. Aber auch nach der Pubertät ist ein Hund nicht „fertig“ in seiner Entwicklung – insbesondere die Hündin durchlebt mit jeder Läufigkeit eine neue Form der Reife. Ist eine Kastration allerdings aus medizinischen Gründen unvermeidbar, so wird man die in diesem Falle „nebensächlichen“ Veränderungen gerne in Kauf nehmen (müssen).

Das war ein Gastartikel von Tierärztin Larissa Michels des Online-Shops für Tierbedarf Tierarzt24.de.

Weitere Infos

Wenn Du dich darüber hinausgehend zum Thema Kastration und Krebsvorbeugung informieren möchtest, dann kann ich Dir noch den folgenden Beitrag aus der Fernsehsendung Quarks&Co empfehlen:

Quarks&Co: Wie sinnvoll ist die Kastration zur Krebsvorbeugung?

Der Beitrag Kastration und Verhalten des Hundes erschien zuerst auf hundundich.com.


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